1899–1900 – Schwedische Gradmessungsexpedition nach Spitzbergen

Einleitung

Ende des 19. Jahrhunderts stellte die Erforschung der Erdgestalt eines der zentralen Themen der Geodäsie dar. Besonders in den Polarregionen, in denen bis dahin nur wenige geodätische Messungen stattgefunden hatten, war das Wissen über die Form und Krümmung der Erde lückenhaft.

Um diese Lücken zu schließen, organisierte Schweden eine wissenschaftliche Expedition nach Spitzbergen (heute Svalbard), mit dem Ziel, einen Meridianbogen in hoher geographischer Breite zu vermessen. Diese sogenannte Schwedische Gradmessungsexpedition von 1899–1900 war ein Meilenstein der arktischen Forschung.

Hintergrund und wissenschaftlicher Kontext

Bereits im 18. Jahrhundert hatte die internationale Wissenschaftsgemeinschaft erkannt, dass die Erde keine perfekte Kugel ist, sondern an den Polen abgeplattet ist – eine Erkenntnis, die unter anderem durch die berühmte Lappland-Expedition von Pierre Louis Moreau de Maupertuis und Anders Celsius 1736 gewonnen wurde.

Um die Erdfigur noch präziser zu bestimmen, wurden sogenannte Gradmessungen durchgeführt: Das Ziel dieser Messungen war es, die Länge eines Meridianbogens (also eines Abschnitts eines Längengrades) durch astronomische und geodätische Verfahren zu bestimmen. Durch den Vergleich solcher Messungen in verschiedenen Breiten konnte man Rückschlüsse auf die Krümmung der Erdoberfläche ziehen.

Während in mittleren und niedrigen Breiten bereits zahlreiche Messungen vorlagen, war der hohe Norden noch wenig erforscht. Schweden übernahm mit der Expedition von 1899–1900 eine Pionierrolle bei der geodätischen Erforschung der Arktis.


Ziele der Expedition

Die Schwedische Gradmessungsexpedition verfolgte mehrere wissenschaftliche Hauptziele:

  1. Vermessung eines Meridianbogens zwischen etwa 78° und 79° nördlicher Breite.

  2. Aufbau eines Triangulationsnetzes zur exakten Messung von Entfernungen und Winkeln.

  3. Durchführung astronomischer Ortsbestimmungen, um die Breiten- und Längenunterschiede zwischen den Messpunkten genau zu ermitteln.

  4. Erfassung meteorologischer, geophysikalischer und geologischer Daten, insbesondere zur Erkundung des Erdmagnetfeldes und der klimatischen Bedingungen.


Organisation und Leitung

Die Expedition wurde unter der Leitung des schwedischen Geographen, Geologen und Polarforschers Axel Hamberg organisiert. Hamberg war ein erfahrener Wissenschaftler, der sich durch frühere Forschungsarbeiten in Lappland und anderen nordischen Regionen bereits einen Namen gemacht hatte.

Die Expedition wurde vom Königlich Schwedischen Gradmessungskomitee sowie von der Schwedischen Akademie der Wissenschaften unterstützt und stand im Zusammenhang mit internationalen wissenschaftlichen Kooperationen zur Bestimmung der Erdfigur.


Gebiet der Untersuchung: Spitzbergen

Als Messgebiet wurde die Inselgruppe Spitzbergen (heute: Svalbard) im arktischen Ozean ausgewählt. Dieses Gebiet bot ideale Voraussetzungen für eine Gradmessung in hoher Breite:

  • Günstige topografische Verhältnisse für die Einrichtung eines Triangulationsnetzes

  • Relativ gute Zugänglichkeit über den Seeweg

  • Noch kaum wissenschaftlich vermessenes Terrain

Die Hauptbasis der Expedition wurde im Kongsfjorden auf der Insel West-Spitzbergen errichtet. Von dort aus wurden verschiedene geodätische Stationen auf umliegenden Berggipfeln eingerichtet.


Durchführung der Messungen

1. Triangulation

Die Expeditionsteilnehmer errichteten ein Netz aus geodätischen Dreiecken, indem sie auf verschiedenen Bergen Signale installierten (meist aus Holz gebaute Vermessungstürme). Mithilfe von Theodoliten wurden Winkel zwischen den einzelnen Stationen gemessen. Dieses Triangulationsnetz diente als Grundlage für die Berechnung der Distanzen.

2. Astronomische Ortsbestimmungen

Zur genauen Bestimmung der geographischen Breiten und Längen der Stationen führten die Forscher astronomische Messungen durch, etwa durch die Beobachtung von Sternen, Sonne oder Planeten.

3. Meteorologische und geophysikalische Beobachtungen

Begleitend zur geodätischen Arbeit wurden regelmäßige Wetteraufzeichnungen durchgeführt. Auch das Erdmagnetfeld wurde untersucht – eine wichtige Information für die Navigation und das Verständnis geophysikalischer Prozesse in der Arktis.


Herausforderungen

Die Expedition war mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert:

  • Extremes Klima: Temperaturen unter -30 °C, Schneestürme, und dauerhafte Dunkelheit im Winter erschwerten die Arbeit erheblich.

  • Logistik: Die Versorgung mit Lebensmitteln, Brennmaterial und wissenschaftlichen Geräten musste sorgfältig geplant werden. Jegliche Nachschublieferung war wegen der Abgeschiedenheit fast unmöglich.

  • Topografie: Die Vermessung in gebirgigem Gelände erforderte große körperliche Anstrengungen und ein hohes Maß an technischer Präzision.


Ergebnisse und Bedeutung

Die Expedition lieferte äußerst präzise Daten zur Form der Erde in polaren Breiten und bestätigte die Abplattung der Erde an den Polen. Darüber hinaus war sie in mehrfacher Hinsicht bedeutend:

  • Geodätisch: Die Daten flossen in internationale Modelle der Erdfigur ein und trugen zur Verbesserung geodätischer Referenzsysteme bei.

  • Wissenschaftlich: Sie ermöglichte neue Erkenntnisse über das arktische Klima, die Geologie Spitzbergens und das Verhalten des Erdmagnetfelds.

  • Historisch: Die Expedition war ein frühes Beispiel erfolgreicher Polar- und Kooperationsforschung. Sie legte den Grundstein für spätere arktische Forschungen – sowohl in Schweden als auch international.


Fazit

Die Schwedische Gradmessungsexpedition von 1899–1900 war ein herausragendes Beispiel für wissenschaftlichen Pioniergeist und interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Arktis. Sie verband klassische geodätische Vermessung mit meteorologischen, geophysikalischen und geologischen Studien und erweiterte das Wissen über die Erde in einer Region, die zuvor nur wenig erforscht war. Ihr Vermächtnis lebt bis heute in der Geschichte der Geowissenschaften fort.