Willem Barentsz (1550 – 1597)

Frühe Jahre und Hintergrund:

Willem Barentsz wurde um 1550 auf der westfriesischen Insel Terschelling geboren. Über seine frühen Jahre und seine Ausbildung ist relativ wenig bekannt. Es wird jedoch angenommen, dass er sich früh für die Seefahrt und die Kartografie interessierte. Die Niederlande waren im späten 16. Jahrhundert eine bedeutende Seefahrernation, und das Interesse an neuen Handelsrouten, insbesondere nach Asien, war groß. Die Suche nach der Nordostpassage, die einen kürzeren Weg zu den Reichtümern des Ostens versprach, war ein zentrales Anliegen niederländischer Kaufleute und Entdecker.

Der Traum von der Nordostpassage:

Die traditionellen Handelsrouten nach Asien führten entweder über lange Landwege oder um das Kap der Guten Hoffnung in Afrika herum. Beide Routen waren zeitaufwendig, gefährlich und oft von anderen europäischen Mächten kontrolliert. Die Idee einer nördlichen Durchfahrt, die direkt östlich von Europa und Asien verlaufen sollte, war daher äußerst verlockend. Man glaubte, dass ein solcher Seeweg die Reisezeiten erheblich verkürzen und neue Handelsmöglichkeiten eröffnen würde.

Die drei Expeditionen von Willem Barentsz:

Willem Barentsz spielte eine zentrale Rolle in den Versuchen der Niederlande, diese Nordostpassage zu finden. Er führte drei bedeutende Expeditionen in die arktischen Gewässer an:

1. Die Expedition von 1594:

  • Ziel: Den Durchgang östlich von Nowaja Semlja in die Karasee finden.
  • Verlauf: Barentsz führte eine Flotte von drei Schiffen an. Sie erreichten die Westküste von Nowaja Semlja und segelten entlang der Küste nordwärts. Dabei entdeckten sie die Oranje-Inseln.
  • Ergebnis: Die Expedition stieß auf eine beträchtliche Menge an Packeis, das die Weiterfahrt nach Osten verhinderte. Obwohl die Nordostpassage nicht gefunden wurde, kehrte die Expedition mit wertvollen Informationen über die arktische Region und detaillierten Karten zurück. Diese Reise wurde als vielversprechend angesehen und ermutigte zu weiteren Versuchen.

2. Die Expedition von 1595:

  • Ziel: Erneuter Versuch, durch die Karasee zu gelangen, diesmal mit einer größeren Flotte von sieben Schiffen, begleitet von Jan Huygen van Linschoten, einem erfahrenen Kenner der asiatischen Gewässer.
  • Verlauf: Die Flotte erreichte die Meerenge zwischen dem Festland und der Insel Waigatsch, die später als Straße von Kara bekannt wurde. Sie drang in die Karasee ein, stieß aber erneut auf widrige Eisbedingungen.
  • Tragischer Zwischenfall: Bei einem Landgang wurde ein Teil der Mannschaft von einem Eisbären angegriffen, wobei zwei Seeleute getötet wurden. Dieses Ereignis unterstrich die Gefahren der arktischen Umwelt.
  • Ergebnis: Angesichts des dichten Eises und des fortgeschrittenen Sommers beschloss die Expedition, die Weiterfahrt aufzugeben und nach Hause zurückzukehren. Diese zweite erfolglose Reise dämpfte die anfängliche Euphorie etwas, aber der Glaube an die Existenz der Nordostpassage blieb bestehen.

3. Die Expedition von 1596-1597: Die Überwinterung in der Arktis:

  • Ziel: Ein dritter und letzter Versuch, die Nordostpassage zu finden, diesmal mit zwei Schiffen unter dem Kommando von Jan Jacobsz May und Jacob van Heemskerck, mit Willem Barentsz als Navigator und Kartograf.
  • Entdeckungen: Die Expedition stieß auf unbekanntes Land im Nordatlantik und entdeckte die Inselgruppe Spitzbergen (Svalbard) und die Bäreninsel. Diese Entdeckungen waren bedeutende geografische Leistungen.
  • Das Unglück: Auf dem Weg nach Nowaja Semlja gerieten die Schiffe ins Packeis und blieben vor der Nordostküste der Insel stecken. Es war klar, dass sie den Winter in der Arktis verbringen mussten.
  • Die Überwinterung im „Behouden Huys“: Die 17-köpfige Besatzung war gezwungen, aus Treibholz und Teilen des demolierten Schiffes ein provisorisches Lager zu errichten, das sie „Behouden Huys“ (Das Behütete Haus) nannten. Der Winter in der Arktis war extrem hart. Sie kämpften mit Kälte, Dunkelheit, Skorbut und ständigen Eisbärenangriffen. Trotz der widrigen Umstände gelang es ihnen, zu überleben, indem sie jagten und die Vorräte rationierten.
  • Die verzweifelte Rückreise und Barentsz‘ Tod: Im Frühjahr 1597, als das Eis aufbrach, bauten die verbliebenen 12 Männer zwei kleine offene Boote und traten eine gefährliche und lange Rückreise nach Süden an. Willem Barentsz war zu diesem Zeitpunkt bereits schwer erkrankt, vermutlich an Skorbut. Er starb am 20. Juni 1597, kurz bevor die Boote das Festland erreichten. Seine letzten Stunden verbrachte er mit der Fertigstellung von Seekarten und Aufzeichnungen.

Barentsz‘ Vermächtnis und Bedeutung:

Obwohl Willem Barentsz sein Hauptziel, die Nordostpassage zu finden, nicht erreichte, waren seine Expeditionen von unschätzbarem Wert für die Erforschung der Arktis.

  • Kartografie: Seine detaillierten Karten und Aufzeichnungen trugen maßgeblich zur Kenntnis der arktischen Region bei. Er kartografierte große Teile der Küste von Nowaja Semlja und entdeckte wichtige Inseln wie Spitzbergen und die Bäreninsel.
  • Erforschung der Arktis: Seine Reisen lieferten wertvolle Informationen über die Eisbedingungen, das Klima, die Tierwelt und die Herausforderungen des arktischen Lebens. Die Überwinterung im „Behouden Huys“ ist ein beeindruckendes Zeugnis menschlicher Ausdauer und Überlebensfähigkeit unter extremsten Bedingungen.
  • Namensgebung: Die Barentssee, ein Randmeer des Arktischen Ozeans nördlich von Norwegen und Russland, ist nach ihm benannt und erinnert bis heute an seine Pionierleistungen.
  • Symbolfigur: Willem Barentsz ist in den Niederlanden zu einer Symbolfigur des Entdeckergeistes und der Beharrlichkeit geworden. Seine tragische Geschichte und seine wissenschaftlichen Beiträge haben ihn zu einer legendären Gestalt gemacht.

Moderne Ehrungen:

  • Nachbau des Schiffes: In seinem Geburtsort Harlingen wird derzeit eine detailgetreue Nachbildung seines Schiffes gebaut, die den Namen „Willem Barentsz“ trägt. Dieses Projekt soll sein Andenken ehren und die Geschichte seiner Reisen lebendig halten.
  • Fährschiff: Die Reederei Doeksen, die Fährverbindungen zu den westfriesischen Inseln betreibt, hat eines ihrer Schiffe ebenfalls nach Willem Barentsz benannt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Willem Barentsz ein mutiger und entschlossener Entdecker war, dessen unermüdliches Streben nach der Nordostpassage zwar tragisch endete, aber einen bedeutenden Beitrag zur Erforschung der Arktis leistete und ihn unsterblich in der Geschichte der Seefahrt gemacht hat.