Semjon Iwanowitsch Deschnjows Expedition von 1648 – Die erste Durchfahrt durch die Beringstraße
Einleitung
Die Geschichte der großen geografischen Entdeckungen ist geprägt von Namen wie Kolumbus, Magellan oder Cook. Doch nicht weniger beeindruckend ist die Leistung des russischen Kosaken Semjon Iwanowitsch Deschnjow, der 1648 als erster Europäer nachweislich die Beringstraße zwischen Asien und Amerika durchquerte – rund 80 Jahre vor Vitus Bering, nach dem die Meerenge benannt wurde. Deschnjows Reise ist ein faszinierendes Kapitel der russischen Expansion nach Sibirien und Asien – und ein Beispiel für vergessene Pionierleistungen.
Hintergrund: Russische Expansion in Sibirien
Im 17. Jahrhundert dehnte sich das Zarentum Russland zunehmend ostwärts aus. Kosaken, Abenteurer und Pelzhändler drangen tief in die unerschlossenen Regionen Sibiriens vor, angetrieben vom Reichtum der Tierwelt (insbesondere Pelze), der Suche nach neuen Handelswegen sowie dem politischen Auftrag, Steuern (Jassak) von indigenen Völkern einzutreiben. Diese Expansion war geprägt von gefährlichen Reisen, brutalen klimatischen Bedingungen und einer unermesslichen Wildnis.
Semjon Deschnjow, geboren um 1605 in Nordrussland, trat um 1630 in den Dienst des Zaren. Bereits in den 1640er-Jahren war er als erfahrener Kosake bekannt, der in verschiedenen Missionen in Jakutien und an den Flüssen Lena und Kolymá tätig war.
Die Expedition von 1648
Im Jahr 1648 brach Deschnjow von Nischnekolymsk am Fluss Kolymá mit mehreren Booten – sogenannten Kotschen, traditionellen Holzschiffen für arktische Gewässer – auf. Ziel war es, eine mögliche See- oder Flussverbindung zur reichen Region rund um den Anadyr-Fluss zu finden. Gleichzeitig sollte die Expedition neue Handelsmöglichkeiten erkunden und Tributzahlungen sichern.
Teilnehmer und Route
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Die Flotte bestand ursprünglich aus acht Schiffen mit etwa 90 Mann, darunter auch der bekannte Händler Fedot Alexejew.
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Die Expedition segelte entlang der nordsibirischen Küste in die Ostsibirische See.
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Nach schwerem Wetter und Navigationsproblemen wurden die Schiffe voneinander getrennt.
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Nur Deschnjow und einige seiner Männer schafften es, das Kap Deschnjow zu umrunden – den östlichsten Punkt Asiens.
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Damit hatte Deschnjow als erster Mensch nachweislich die spätere Beringstraße durchquert.
Verlauf und Schwierigkeiten
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Die Reise war äußerst gefährlich: Extreme Kälte, Stürme, Eisdrift und unzureichende Vorräte forderten ihren Tribut.
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Mehrere Schiffe gingen unter; zahlreiche Männer starben unterwegs oder wurden vermisst.
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Deschnjows eigenes Boot zerschellte schließlich an der Küste des heutigen Tschukotka.
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Er und wenige Überlebende schlugen sich zu Fuß weiter durch und erreichten nach Monaten das Gebiet des Anadyr-Flusses, wo sie sich niederließen.
Folgen und Bedeutung
Trotz des beispiellosen Erfolgs blieb Deschnjows Leistung zunächst weitgehend unbeachtet. Seine Berichte gingen in den Archiven verloren oder wurden ignoriert – unter anderem wegen fehlender Karten und der Tatsache, dass die Region damals als uninteressant galt. Erst im 18. Jahrhundert, im Zuge der Expeditionen von Vitus Bering, stießen Historiker auf Deschnjows Aufzeichnungen und erkannten, dass er den Seeweg von der Arktis in den Pazifik bereits Jahrzehnte vor Bering entdeckt hatte.
Heute gilt Deschnjow als:
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Erster Europäer, der Asien am nordöstlichen Ende umrundete.
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Entdecker des Seewegs durch die Beringstraße, auch wenn ihm die geographische Bedeutung damals noch nicht bewusst war.
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Wegbereiter der russischen Expansion in Ostsibirien und Tschukotka.
Vermächtnis
Zu Ehren Deschnjows wurde das östlichste Kap des asiatischen Festlandes als Kap Deschnjow benannt. Es gibt Statuen, ein Denkmal in Moskau, russische Schiffe, die seinen Namen tragen, und seine Geschichte wird heute als Stolz der russischen Entdeckergeschichte gefeiert.
Fazit
Semjon Iwanowitsch Deschnjows Reise von 1648 war eine außergewöhnliche Pioniertat unter extremen Bedingungen. Ohne moderne Navigationsinstrumente, in primitiven Booten und mit wenigen Mitteln durchquerte er eine der gefährlichsten Meeresregionen der Welt – und bewies, dass Asien und Amerika durch eine Meerenge getrennt sind. Seine Entdeckung geriet zwar in Vergessenheit, wurde aber später als einer der größten Erfolge der frühen russischen Arktisforschung gewürdigt. Deschnjow steht heute sinnbildlich für Mut, Ausdauer und den Entdeckergeist der frühen Kosakenzeit.